Hunde aus dem Auslandstierschutz

Überfordert und unverstanden

Die Entscheidung ist gefallen: Ein Hund soll einziehen. Und damit wir mit dem neuen Hund auch gleich die gute Tat verbinden, soll es ein Hund aus dem Ausland sein. Und so erlebe ich es leider viel zu oft, dass Menschen mit der rosaroten Brille zur Tierschutzorga gehen oder Onlineportale durchstöbern und sich einen Auslandshund nach der Optik aussuchen oder „…weil er so arm ist“.  Tierschutz in allen Ehren, aber die Wahl deines Hundes sollte nicht ausschließlich aufgrund Optik oder Mitleid erfolgen. Denn dieser Hund bringt bereits eine Geschichte mit in sein neues zu Hause, die auch sein Verhalten beeinflusst – und darauf solltest du vorbereitet sein. Damit die Freude am neuen Familienmitglied nicht gleich getrübt wird. Oder der Hund beim ersten Fehlverhalten retourgeschickt wird.

Niemand von uns weiß im Detail, was diese Hunde bereits erlebt haben: Waren sie Straßenhunde, Wachhunde für Haus & Hof, wurden sie zur Jagd eingesetzt oder hingen sie an der Kette, bevor sie in einem Auffanglager oder einer Tötungsstation gelandet sind? Und wie haben sie den Aufenthalt eben dort verkraftet? Wie lange waren sie in diesen Lagern, mussten sie Hunger leiden, sich gegenüber Artgenossen in den überfüllten Zwingern verteidigen oder haben sie Gewalt erfahren? All diese Erfahrungen beeinflussen das Verhalten deines Hundes – mehr oder weniger stark, je nach Persönlichkeit.

Neben Vorerfahrungen bringen Tierschutzhunde aber auch eine bestimmte Rasseveranlagung mit, dh Eigenschaften, für die die Rasse ursprünglich gezüchtet wurde. Und auch diese müssen berücksichtigt werden, wenn es um die Auswahl des geeigneten Fellfreundes geht. Denn ein Herdenschutzhund hat ganz andere Bedürfnisse als ein Labrador oder ein Windhund. Da es sich im Tierschutz oftmals um Mischlinge handelt, ist es mitunter gar nicht so einfach, die verpaarten Rassen herauszufinden. Beschäftigt man sich jedoch mit Auslandstierschutz, weiß man, welche Rassen in welchen Ländern hauptsächlich vertreten sind und kann anhand des Erscheinungsbildes oft schon eine erste Einschätzung treffen.

Hunde mit Vergangenheit

Bereit anzukommen, aber du musst dabei unterstützen

Meine Erfahrung aus der Verhaltensberatung mit Tierschutzhunden zeigt, dass Adoptionen sehr oft vorschnell und übereilt getroffen werden. Es gibt viele Auslandshunde, die mehr Unterstützung von ihrem Menschen benötigen als die ersten 2-3 Wochen der Eingewöhnung. Es gibt welche, die im Laufe der Zeit Verhaltensweisen entwickeln, auf die man nicht vorbereitet war und das Leben von Hundeeltern massiv auf den Kopf stellen. Und dann eben nicht nur der Hund leidet, weil er sich in seinem neuen Leben nicht zurechtfindet und in seinen Bedürfnissen nicht verstanden wird, sondern auch der Mensch.

Ich kenne Hunde, die wirken auf den ersten Blick unglaublich brav, fallen überhaupt nicht auf –  sieht man aber genauer hin, erkennt man, dass diesen Hunden oft die Lebensfreude fehlt und sie sich aufgegeben haben. Andere sind so belastet durch vorige Erfahrungen, dass jeder Schritt zur Haustüre Panik auslöst. Und dann gibt es jene, die ihre Überforderung lautstark zum Ausdruck bringen, indem sie Artgenossen an der Leine verbellen oder die Nachbarschaft zusammentrommeln, sobald sie alleine bleiben müssen. Diese Hunde sind nicht undankbar, sondern überfordert. Und benötigen Empathie, Verständnis und Unterstützung.

Und ja, ich kenne auch viele Tierschutzhunde, die sich völlig problemlos an das neues Leben gewöhnt haben und es in vollen Zügen genießen. Wenn so ein Glückspilz zu dir gefunden hat, dann freue dich darüber, aber sehe es nicht als Selbstverständlichkeit.

Hast du nun einen Tierschutzhund zu Hause, der mit Alltag und Umwelt sehr gefordert oder sogar überfordert ist, bist zuerst einmal du selber gefordert. Und zwar die Erwartungen, die du an das neue Familienmitglied hattest, zurückzuschrauben. Am besten gegen Null. Jeder von uns – auch ich – hat sich die gemeinsame Zeit mit dem neuen Hund in schönsten Farben ausgemalt. Er soll es von nun an gut haben, alles aufholen, was er bislang versäumt hat und ein lustiger und freundlicher Begleiter sein. Doch manchmal hat das Leben andere Pläne für uns.

Daniela Loibl unterwegs mit Happy

Die Sache mit der Dankbarkeit

..und warum das nichts mit Erziehung zu tun hat

Wie mehrfach erwähnt, sind Tierschutzhunde bzw. Second Hand Hunde keine unbeschriebenen Blätter, sie kommen mit einem voll gepackten Rucksack an Erfahrungen und Erlebnissen in ihr neues Leben. Und packen nach und nach aus, wenn sie sich vom ersten Kulturschock erholt haben und beginnen, sich bei dir sicher zu fühlen. Was in der Theorie sehr schön klingt, kann in der Praxis durchaus eine Herausforderung werden. Wenn es sich nämlich um Verhaltensweisen handelt, die so gar nicht in deinen Alltag passen.

Beispielsweise, wenn der Hund nicht entspannt alleine bleiben kann, es aber aufgrund deiner beruflichen Verpflichtungen eine Notwendigkeit ist. Oder dein Hund andere Menschen gruselig findet, du aber auf den Hundesitter angewiesen bist.

Ein Angsthund oder ein traumatisierter Hund geht mitunter nicht aus der Haustüre raus, verrichtet sein Geschäft nur drinnen oder nur nachts. Wenn du keinen Garten zur Verfügung hast, kann das auch für dich als Halter ganz schön aufwendig und mühsam werden.

Der Zuspruch deines Umfeldes “Der muß da einfach durch, dann wird er schon merken, dass ihm nix passiert” ist auch hier leider nur weit verbreitete Meinung und kein modernes Hundewissen – und hilft deinem Hund garantiert nicht, sich in seinem Tempo und angstfrei an unsere Umwelt zu gewöhnen. Im Gegenteil, es verursacht noch mehr Stress und Angst bei deinem Hund. Emotional gesehen ist das kein schöner Zustand und sicher nicht das, was du wolltest, als du ihm versprochen hast, dass er jetzt ein schönes Leben bei dir haben wird.

Ein Hund, der auf dem Land groß wurde und sich dann mitten in der Stadt wiederfindet, wird sein neues Leben anfangs unter Umständen nicht so toll finden. Es prasseln plötzlich zig neue Reize auf ihn ein, die das Gehirn erst einmal sortieren und verarbeiten muss. Und damit das langsam und entspannt möglich ist, musst du im Alltag darauf achten, deinen Tierschutzhund behutsam mit Neuem vertraut zu  machen – und zwar in seinem Tempo. Die oft empfohlene Reizüberflutung (sog. Flooding) ist auch hier der falsche Weg, zudem tierschutzwidrig und bringt dir keinen entspannten Hund, sondern u.U. einen aggressiven oder emotional gebrochenen Hund – wieder nicht das, was du ihm mit dem schönen Leben versprochen hast.

Ein Straßenhund, der immer eine Fluchtmöglichkeit hatte und ein selbstbestimmtes Leben führen durfte, wird bei uns durch Wohnungshaltung und die Leine in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Und durch dich und die Regeln in eurem Alltag. Also wieder kein Hund, der dankbar ist, dass du ihn gerettet hast. Sondern ein Hund, der sein gewohntes Umfeld, seine Strukturen und Rituale von einem Tag auf den anderen verloren hat – und aktuell überfordert, verunsichert und frustriert ist. Und Zeit braucht, sich an sein neues Daheim, Leine und Brustgeschirr und andere Alltagsdinge zu gewöhnen.

Allgemeine Überforderungen zeigen sich oft in unerwünschten Verhaltensweisen wie Leine ziehen, Leinenaggression, Angst vor Umwelt und Mensch, Unsauberkeit, Trennungsstress, exzessiven Verhaltensweisen, etc. Auch, wenn es für einen Außenstehenden wirken mag, als hätte man einen völlig unerzogenen Hund adoptiert, lässt sich das unerwünschte Verhalten mit der klassischen Erziehung a la „Sitz! Platz! Bleib!“ nicht lösen und hat mit dem Begriff Erziehung, wie er allgemein verwendet wird, nichts gemein.

Ein Umzug bedeutet Stress – für jeden Hund. Der Hund verliert seine vertraute Umgebung, vertraute Menschen und Artgenossen, seine Rituale und Strukturen. Auch, wenn dein Hund vorher kein schönes Leben hatte, es war dennoch SEIN Leben. Und er benötigt Zeit, sich an das neue, bessere Leben gewöhnen zu dürfen. Je mehr du als Hundehalter hier unterstützt und achtsam bist, umso leichter findet sich dein Hund in seinem neuen Leben zurecht. “Step by Step” und nicht “Alles auf einmal” sollte hier dein Motto sein. 

Daniela Loibl, Zert. Hundetrainer

Auch mein Alltag hat sich verändert seit Happy bei mir eingezogen ist. Und zwar habe ich diesen für Happy verändert. So, dass er ihn schaffen kann und der Tag für ihn berechenbar ist (Zu Happys Geschichte). Was aber auch bedeutet, dass ich phasenweise zurückstecke, meinen Alltag sehr genau planen muss und trotzdem – oder genau deswegen – dafür sorge, dass der große Schwarze und ich viel Spaß und Freude zusammen haben.

Gib deinem neuen Hund Zeit, um anzukommen. Habe Verständnis für seine Verhaltensweisen und unterstütze ihn dabei, Sicherheit im Alltag zu bekommen. Bringe Geduld und Empathie mit und hole dir Unterstützung von einem Trainer, der auf die Bedürfnisse des Hundes achtet, dir Verhaltensweisen erklären kann anstatt diese einfach zu unterdrücken und auf jeden Fall gewaltfrei arbeitet. Wenn du gut vorbereitet bist, kannst du selber Druck rausnehmen – und das spürt auch dein Hund. So kann er sich in seinem Tempo an sein neues Leben gewöhnen, Vertrauen zu dir aufbauen und nach und nach sein neues Leben genießen lernen.

Daniela Loibl MBA MSc

Daniela Loibl MBA MSc

  • staatlich geprüfte tierschutzqualifizierte Hundetrainerin
  • Hundeverhaltensberaterin iA
  • verhaltensmedizinische Tierpsychologin iA
  • zertifizierte Hunde-Ernährungsberaterin
  • ehrenamtliche Hundetrainerin im Tierheim
  • Buchautorin “Fred & Otto, Wanderführer für Hunde”

Hundesprechstunde

Du fragst, ich antworte. Auf alle Fragen, die dir im Zusammenleben, Umgang und Training mit deinem Hund unter den Nägeln brennen. Einfach und umkompliziert über Zoom.

Hundeverhalten verstehen lernen

Unerwünschtes Verhalten resultiert aus unerfüllten Bedürfnissen. Welche das in eurem Fall sind, werden wir gemeinsam herausfinden. Am Ende wirst du deinen Hund und sein Verhalten besser verstehen.

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